Nicht die Opfer sind verrückt…

…sondern die Umstände unter denen sie haben leben müssen.

Von Erda Seib

Nicht die Opfer sind verrückt, sondern die Umstände unter denen sie haben leben müssen. Umso erfreulicher ist es für mich zu sehen, dass die Täter nicht gewonnen haben. Sie Norbert Denef nicht umbringen konnten. Das er es geschafft hat sein Schweigen zu brechen. Sein Handeln hilft anderen Opfern nicht aufzugeben und sich ebenfalls zu wehren. Und dies trotz aller gesellschaftlichen Vorurteile und der offenen und versteckten Gewalt, die es gegenüber Opfern gibt. Opfer von Gewalt erleben oftmals wenn sie ihr Schweigen brechen und für ihre Rechte kämpfen erneut strukturelle Gewalt, durch ihre Familienangehörigen, durch das soziale Umfeld, durch die Öffentlichkeit und durch die Behörden (Versorgungsämter/ Anerkennung nach dem Opferentschädigungsgesetz), Rentenversicherungsanstalten, Krankenkassen (Kampf um die Therapiefinanzierung) und gegen viel zu lange Wartezeiten auf Therapieplätze, sowohl ambulant als auch stationär.

Anstatt Hilfe zu erfahren werden Opfer zu einer Nummer

Anstatt Hilfe zu erfahren werden sie zu einer Nummer im Verwaltungsvorgang. Mit ihnen wird Aktenkarusell gefahren. Die Verzögerungstatik, in Form von endlosen Überprüfungen dient vor allem dazu- sie soll Opfer zermürben, ihnen die Kraft zum Weiterkämpfen, Weiterleben nehmen, damit sie nicht die Hilfen bekommen,die ihnen zustehen und Akten auf Grund des Ablebens der Opfer geschlossen werden können, damit das Ziel der Kostenersparnis erreicht wird.

Es ist absurd von Opfern sexueller Gewalt die im Opferentschädigungsgesetzt (§1 OEG) geforderte ,,Beweislast” zu fordern. Gerade der sexuelle Missbrauch lebt von der Geheimhaltung. Opfern werden Hilfen versprochen, die nicht kommen, nicht kommen sollen, weil sie Geld und Mühe kosten. Herr Denef ist bereit für die Rechte von Kindern auf körperliche, geistige, seelische Unversehrtheit einzutreten.

Von diesen mutigen Menschen braucht unsere Gesellschaft mehr. Wir sollten aufhören, die Täter durch unsere Gesetzgebungen zu schützen, sondern den Opfern glauben, sie unterstützen und ihnen helfen trotz alledem sich ihr Leben wieder zurückzuerobern.

Lange Geschichte des Täterschutzes

Deutschland hat eine lange Geschichte von Täterschutz und Illoyalität gegenüber Opfern hinter sich. Sexuelle Gewalt und Gewalt gegenüber den schwächsten der Gesellschaft, den Anderen, den Fremden, den Kindern, den Alten, den Behinderten und all denjenigen, die nicht als stark gelten kann nur in einer Gesellschaft funktionieren, in der Macht, Machtmissbrauch, als ein Zeichen von Stärke und Größe gelten.

Wir sollten aufhören uns unterdrücken und ausbeuten zu lassen, sondern gemeinsam aufstehen gegen die Ungerechtigkeiten, die sich auf mehreren Ebenen zeigen und miteinander, füreinander einstehen für eine Welt in der es keine Gewalt, keinen Hunger und keine Kriege mehr geben muss.

Strukturen und Ursachen des Gewalt-Systems

Ein jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben. In diesem Sinne ist es wichtig erlebte Gewalt öffentlich zu machen, eine Wiedergutmachung zu verlangen und die Strukturen und Ursachen des Gewalt-Systems aufzudecken. Wer schweigt und wegsieht und/oder nicht hilft deckt die Täter und macht sich mitschuldig. Gewalt gegen Menschen geht uns alle an. Und Opfer von Gewalt brauchen Gehör, wir müssen ihnen glauben, ihre Gefühle, Gedanken wahrnehmen, ihnen Schutz, finanzielle Absicherung und die für sie notwendige Zeit zum Heilen ermöglichen.

Die Opfer sind und waren unschuldig. Sie sind es die noch nach Jahren unter den Folgen der Traumatisierungen leiden. Wir sollten aufhören die Opfer durch Glaubwürdigkeitsgutachten weiter zu retraumatisieren und zu belasten, sondern uns solidarisch an ihre Seite stellen, ihnen glauben, ihnen helfen zu fühlen, wahrzunehmen und vor allem wenn sie es möchten über ihr Erlebtes zu sprechen- Sprachlosigkeit und innere Erstarrung töten die Seele ab. Viele Opfer sind selbst Jahre nach der erlebten Gewalt noch näher am Tod, als am Leben.

Unsichtbare Macht der Täter

Unsere Aufgabe ist es ihnen zu helfen wieder ins Leben zu kommen und mit jedem Tag, an dem sie es schaffen, trotz alledem weiter zu leben, brechen sie die noch immer über sie liegende, unsichtbare Macht der Täter, die auf Zerstörung ihres Körpers, ihres Willen, ihrer Seele ausgerichtet war. Freiheit bedeutet frei sprechen, frei denken, frei von der Macht der Täter fühlen zu können und nicht länger um Anerkennung kämpfen zu müssen, sondern diese zu bekommen, weil sie den Opfern von Gewalttaten zusteht.

Ich wünsche mir von den Tätern, dass sie endlich ihr Verbrechen eingestehen und für ihre Taten die Verantworung übernehmen.

Jedes Kind, auch dann, wenn es scheinbar freiwilig mitmacht, ist unschuldig. Oft baucht der Täter keine körperliche Gewalt anzuwenden, weil das Kind gelernt hatte sich missbrauchen zu lassen. Kinder suchen manchmal die körperliche Nähe ihrer Peiniger – weil sie sich von den Eltern, den Bezugspersonen, den Menschen in ihren sozialen Umfeld Nähe gewünscht haben. Dieser Wunsch des Kindes nach Zuwendung darf nicht als eine Einwilligung, oder eine Aufforderung zu sexuellen Handlungen missverstanden werden. 

Kinder und auch über die Altersgrenze von 14 Jahren hinaus können unter den Umstand, dass sie für die sexuellen, emotionalen und sonstigen Interessen der Erwachsenen funktionalisiert worden sind, ein Gefühl für ihre eigenen Bedürfnisse, ihre eigenen Gefühle und ihre Grenzen verlernt haben. Kinder sehnen sich nach Nähe und dieses Grundbedürfniss von Kindern wird von den Tätern, wenn sie dieses für ihre (sexuellen) Interessen ausbeuten benutzt.

Kinder vertrauen und sie möchten an das Gute in der Welt glauben und sie vertrauen dem Erwachsenen. Sie sind wegen ihres Kindseins, abhängig von den Erwachsenen. Und diese Abhängigeit wird von denTätern genutzt. Kinder fühlen sich oft schuldig für das Verhalten der Täter. Sie übernehmen die Verantwortung. Nur so können sie trotz der erlebten und erfahrenen Hilflosigkeit weiterhin mit dem Täter zusammenleben. Kinder können oft die Gewalt gegen sie nicht alleine stoppen. Sie sind der Gewalt und dem Täter ausgeliefert. Und weil sie es sind die anstelle des Täter die Scham, die Angst in dem Moment der Tat übernehmen und weil sie sich als falsch, anders erleben, schaffen sie es nicht in einer Welt, die den Erwachsenen mehr Glauben schenkt, als dem Kind ihr Schweigen zu brechen, Sexuell missbrauchte Kinder leben in Angst. Sie können sich nicht wehren, erfahren keinen Schutz und ihr Körper, als einziger Ort auf dieser Welt, der noch sicher sein sollte wird benutzt. Sie können mit ihrem Körper nicht in dieser Welt sein, in der sie all die Qual erleben. Deswegen braucht es sehr lange bis erinnern möglich ist, bis zugelassen werden kann, welche Qualen sie als Kind durchstanden hat und das es oftmals genau die Menschen waren, von denen sich das Kind Liebe und Verständnis erhofft hatten.

Erinnerungen sind wie Zeitbomben

Erinnerungen sind wie Zeitbomben, die auch noch Jahre, Jahrzehnte nach der Tat/ den Taten sich für die Opfer von Gewalt, wie ein Wiedererleben der Gewalt im Hier- und- Jetzt anfühlen. All die abgespaltenen Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und schrecklichen Bilder der Vergangenheit kommen dann vereinzelt, oder wie eine innere Flut, in Form eines Films, als Körperempfinden, als Gefühl, oder als ein Durcheinander von alledem ins Bewusstsein und werden dann so erlebt, als wenn das schreckliche aus der Vergangenheit noch einmal stattfinden würde. Das Opfer erlebt oft erneut seine damalige Hilflosigkeit, die innere Starre und die Sprachlosigkeit wieder. Die Erinnerungen können auch in Form von Sinnestäuschungen, wie Gerüche und Geräusche wahrgenommen werden. Es sind keine Halluzinationen, sondern Fragmente aus dem damaligen traumatischen Erleben. All diese Erinnerungs-Fetzen, die versprachlicht oder für die es keine Worte zu geben scheint belasten das erwachsene Opfer von Gewalt über Jahre, Jahrzehnte und viele leiden ein Leben lang darunter.

Deswegen ist es wichtig die erlebte Gewalt beim Namen zu nennen, das was war in der Öffentlichkeit auszusprechen, die Geister der Vergangenheit zu bannen und vor allem nicht länger mit den erlittenen Qualen alleine gelassen zu werden. Indem wir Opfer von Gewalt reden brechen wir die Macht der Täter.

Wir haben ein Recht auf Anerkennung

Wir haben ein Recht auf Anerkennung in Form von finanzieller Absicherung, Ausgleich von Rentenbeiträgen für Zeiten in denen wir nicht arbeiten konnten, eine Entgeltersatzleistung für Zeiten in den wir nicht arbeiten können, finanzielle Förderung von Ausbildungen auf dem ersten Arbeitsmarkt, dies umfasst auch die Förderung von akademischen Ausbildungen, Geld für Therapien und Anwendungen, die wir brauchen um seelische, emotional und körperlich zu heilen.

Das Recht auf diese Leistungen sollte nicht von der Verurteilung der Täter abhängig gemacht werden. Denn in einem Land, wie dem unseren werden Täter viel zu selten verurteilt, durch die viel zu täterloyale, milde Rechtsprechung, den viel zu langen das Opfer belastendem Verfahren, den Verjährungsfristen und der Beweislastumkehr sitzt das Opfer auf der Anklagebank, weil es etwas beweisen muss, wofür ihm oft die Worte fehlen und für die es zwar manchmal Zeugen gibt, die aber nicht bereit sind auszusagen.

Lassen wir die Opfer nicht länger alleine, sondern geben wir ihnen endlich die Hilfen, die Anerkennung, die ihnen zustehen. Verabschieden wir uns endlich anlässlich das historischem Datums der Reichsprogromnacht von einer Haltung des Wegsehens und üben wir uns in Opfersolidarität.

Das stärken von Opferrechten, das Brechen des Schweigens bricht die Macht der Täter und gibt den Opfern ihre Stimme zurück.

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